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Das letzte Punkrock Hamburg Festival der Welt + Besuch beim FC St. Pauli

Heute Abend geht es ins Stellwerk nach Harburg, gelegen im Hamburger Süden. Wir schreiben Samstag, den 1ten März.

Zunächst nimmt der Tag allerdings schon morgens gegen 8 Uhr eine unerwartete Wendung. Ein Freund fragt spontan, ob ich mit zum Spiel des FC St. Pauli gegen Borussia Dortmund ins Stadion kommen möchte.
Mein Freund ist gebürtiger Brite, der allerdings schon seid einigen Jahren mit deutscher Frau bei uns in Hamburg wohnt. Ein Freund aus England sollte eigentlich zu Besuch kommen fürs Spiel. Allerdings wurde sein Flug gestrichen.
Mein erster Gedanke: „Das wird ein langer Tag heute!“ Das Spiel ist um 15:30 Uhr und wir haben Plätze auf der legendären Stehtribüne „Gegengerade“. Eine Tribüne bei der man bei einem Spiel wie heute locker 1,5 bis 2 Stunden vor Anpfiff da sein sollte, da ansonsten alle guten Plätze weg sind. Sprich 13 Uhr treffen wäre Pflicht und die Möglichkeit einer eskalativen Trunkenheit, wäre schon lange vor dem Festival mehr als gegeben. Mit diesem Gedanken im Kopf sage ich natürlich sofort begeistert zu, bevor ich auch nur ansatzweise das Bett an diesem Morgen verlassen habe.

Auch wenn das hier eigentlich eine Seite über Punkrock Musik ist, lohnt es sich definitiv, ein paar Worte über den FC St. Pauli zu verlieren. Wohl kein anderer „kommerzieller“ Fußballverein hat so eine enge Verbindung zur Punk und Skinhead Kultur wie dieser. Ein vormals ganz „normaler“ Club, der spätestens Ende der 1980er Jahre zu Zeiten der besetzten Häusern in der Hafenstrasse komplett umgekrempelt wurde.

Leute wie „Diggen“, Dirk Jora waren Vorreiter für die Werte, die der Verein heute vertritt. Für Vielfalt, für das „anders sein“ und gegen Menschenfeindlichkeit. Die damals durchaus noch existenten rechten Anhänger wurden rausgeschmissen. Es bildete sich eine große linke Anhängerschaft und der Verein wurde weltberühmt. Nicht zuletzt auch in der Musikwelt. So viele Bands gibt es heute, die in ihren Songs Bezug zum FC St. Pauli nehmen. Seien es Bands wie Slime, Molotov Soda, Thees Uhlmann, Los Fastidios, Talco, um nur wenige zu nennen. Auch Sänger wie Ed Sheeran tragen bei Konzerten sogar das Vereinstrikot.

Das gefällt leider Gottes nicht jedem. Immer wieder berichten mir Fans, dass sie in fast ganz Deutschland regelmäßig angegriffen werden. So traurig das ist. Es zeigt welche Macht von diesem Verein ausgeht. Hass muss man sich schließlich auch erstmal verdienen. Bei uns in Hamburg gibt es auf jeden Fall super viele Leute, die sowohl regelmäßig zu Punk Konzerten gehen, als auch ins Millerntor Stadion. Ich persönlich würde mich als Sympathisant des Vereins bezeichnen. Mein fußballerisches Herz gehört seit vielen Jahren allerdings dem Liverpool F.C.

Trotzdem habe ich auch heute wieder eine wunderbare Zeit im Stadion. Die Leute sind einfach nett und man fühlt sich nicht als Gast, sondern direkt integriert.

Nach knapp 2 Stunden stehen auf der Tribüne geht es dann endlich los und die Spieler betreten zu den Klängen von „Hells Bells“ von „AC/DC“ den Platz. Für mich jedes Mal ein absoluter Gänsehautmoment. Überall um mich herum fliegt Konfetti und das Adrenalin kickt richtig rein. In der ersten Halbzeit schlagen sich die Kiezkicker wacker und erkämpfen ein 0:0 Zur Halbzeit. In der zweiten Hälfte lassen sie dann leider deutlich nach und Dortmund gewinnt am Ende mit 2:0.

Das tut allerdings der Stimmung keinen Abbruch. Niemand hat so wirklich erwartet, dass heute gewonnen wird. Da gibt es andere Gegner, gegen die man die Punkte holen muss.

Weiter zum Festival!

Inzwischen ist der Pegel bei uns schon etwas mehr als „stabil“. Das erste Bier gab es direkt gegen 13 Uhr. Nach einer kurzen kulinarischen Pause, inklusive „Zwischenwasser“ geht’s mit einem anderen Freund dann direkt weiter, auf die andere Seite der Elbe, nach Harburg.

Das Stellwerk ist gar nicht so leicht zu finden. Angekommen in Harburg irren wir erstmal 10 Minuten umher. Dann wird uns klar, der Club ist quasi in den Bahnhof integriert. Allerdings nicht in den S-Bahnhof, sondern in den Regional- und Fernverkehrsbahnhof. Harburg selbst ist vom Hamburger Hauptbahnhof in ca. 12-15 Minuten mit der Bahn zu erreichen (vorausgesetzt es gibt keine Sperrungen auf dem Weg).

Ich bin also zum ersten Mal im Stellwerk und direkt äußerst angetan von der Location. Sie verstrahlt ein charmantes Industrieflair und ist ziemlich klein. Laut Recherche passen bis zu 199 Personen rein. Der Laden ist heute ausverkauft. Allerdings sehr „human ausverkauft“, man kann sich noch prima bewegen und fühlt sich nicht wie in einer Sardinenbüchse. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind total freundlich und es gibt eine schicke Bar.

Blanker Hohn:

Gegen 20 Uhr geht es quasi mit den „Hometown Heroes“ los. Die Jungs von Blanker Hohn kommen nämlich direkt aus Harburg. Bereits 1983 wurde die Band ursprünglich gegründet. Wie bei so vielen Punkbands war es allerdings oft eine „on and off Beziehung“. Bereits 3 Mal haben sich die Jungs wieder vereinigt. Zuletzt im April 2018. Mehr dazu könnt ihr in unserem Artikel lesen. Durch diesen hab ich die Band wiederum kennengelernt.
Sowohl musikalisch als auch inhaltlich gibt es voll auf die Fresse. Richtig schöner klassischer Punkrock, der nach vorne geht und politisch klar Stellung bezieht. Ihr Song „Wir sind mehr“ ist dafür ein Musterbeispiel. Ein deutlicher Appell an uns alle für Zivilcourage im Alltag, beim Erleben von Gewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine Anklage bzw. Ansage an die Täter dieser Gewaltverbrechen. Es ist erschreckend, wie aktuell dieses Thema ist und wohl auch immer sein wird. Wie viele Punkbands halten seid so vielen Jahren diesbezüglich die Fahne hoch? Was wurden sie früher noch von so vielen Otto Normalverbrauchern förmlich ausgelacht. O-Ton „Was habt ihr denn mit euren Nazis. Sowas gibt es hier in diesem Lande doch schon lange nicht mehr. Die Ausländer sind doch die „Terroristen“. Heute sitzen Faschisten und Menschenfeinde ganz selbstverständlich in den Parlamenten unserer westlichen Demokratien.
Umso wichtiger, dass die Bands immer noch da sind und versuchen, die Menschen aufzurütteln! Ein toller Auftakt mit ganz viel Herz.

Wir ziehen an diesem Abend den Altersdurchschnitt zwar etwas runter. Allerdings sind durchaus auch ein paar Leute in unserem Alter gekommen. Viele scheinen sich zu kennen. Es ist eine sehr schöne und gelöste Stimmung. Allerdings ziert sich das Publikum noch etwas in Sachen Tanzen und Pogo. Wir halten ganz vorne mit 4-5 Leuten die Fahne hoch.

Küken:


Weiter geht es mit dieser Band vom Hamburger Kiez, die ihre Musik als „Killed-By-Death-Punk wall of Sound“ beschreibt. Das trifft es gut. Es wird uns ein 2 Minuten Headbanger nach dem anderen um die Ohren gehauen. Dazu eine wunderbar pissige Stimme, die das Ganze perfekt untermalt. Entstanden sind „Küken“ aus der Vorgängerband „Kidnappers“. Ursprünglich kommen die Jungs aus Heilbronn und scheinen meiner Recherche folgend schon gut in Europa rumgekommen zu sein. Die Texte sind auf englisch gehalten und laut eigener Aussage der Band eher „Mittel zum Zweck“. Das tut der Qualität keinen Abbruch. Es ist allgemein eher wenig Text und viel Refrain. Die Energie kommt super rüber und inzwischen bin ich auch schon ziemlich feucht (schweißtechnisch).

The Haermorrhoids:


Nun kommt diese Hamburger Band auf die Bühne. Sie spielen schnellen Pop Punk vom Allerfeinsten mit englischen Texten. Das klingt sehr melodisch und stimmig. Die Songs sind sehr kurz und die Einflüsse von Bands wie NOFX und natürlich den Ramones sind nicht zu übersehen. Nun tanzt auch endlich der ganze Laden und mir läuft der Schweiß die Stirn hinunter. Es ist ein wirklich angenehmes und buntes Miteinander.

GERD:


Als letzte Band wird uns nun noch diese 70er Jahre Glam, Punk und Trash Coverband aus Hamburg Horn serviert. Die Band besteht aus 3 Männern und endlich auch mal einer Frau. Meine Kenntnisse über Songs dieser Art, aus diesem Jahrzehnt sind eher beschränkt, daher kenne ich die meisten Songs leider nicht. Zudem rächt sich inzwischen ein bisschen der lange Tag. Die Nebel des Alkohols werden dichter und ich auch. Insofern ist die Erinnerung ab diesem Punkt etwas getrübt.
Allerdings erinnere ich mich, dass der Rest vom Laden augenscheinlich sowohl Band als auch deren Coversongs sehr gut kannte. Das Publikum geht nun ab wie Schmidts Katze. Dann erinnere ich mich noch, dass sie den legendären Song Cherry Bomb von den „Runaways“ in einer wunderbaren Version gespielt haben. Ein stimmungsvoller Abschluss.

Gegen 00:15 Uhr ist Schluss und ein unerwartet toller Abend nimmt sein Ende. Meine Erwartungshaltung war nämlich vorher ehrlich gesagt gar nicht so hoch. Die Bands kannte ich bis auf Blanker Hohn alle nicht. Allerdings lief es wie zur Zeit bei mir so oft. Ein guter Freund will irgendwo hin. Man möchte mit diesem Freund seinen Samstagabend verbringen und kommt einfach mit. Wie viele tolle Bands durften wir beide dadurch schon kennenlernen in den letzten Monaten. Einer von uns kennt immer eine gute Band bzw. ein gutes Fest, was als nächstes stattfindet.


Ein weiterer Punkt, den ich immer wieder feststelle an Abenden dieser Art: Man kann mit „eurer etwas älteren Generation“ immer noch richtig gut feiern. Ihr seid echt okay 🙂


Am Ende bleibt mir einfach nur wieder der Appell „Unterstützt eure lokale Szene“. Geht auf die kleinen Veranstaltungen, bei denen Leute noch mit Herz dabei sind. Bei denen es um die Sache geht. Anstatt hunderte von Euro für ein Ticket der sogenannten „Superstars“ auszugeben, lohnt es sich, die kleinen Clubs zu unterstützen. Die Karte für das Festival heute hat ca. 20 Euro gekostet. Sowas gibt es doch kaum noch. Dort wo es das noch gibt, muss dafür gekämpft werden, damit diese Institutionen erhalten bleiben. Es ist heutzutage in meinen Augen wichtiger denn je, Raum für kreative junge und alte Bands zu sichern. Es sind zudem einfach für mich persönlich Safe Spaces für die Seele geworden.

Da war ganz viel Liebe gestern in der Luft. Wir brauchen viel mehr davon. Let’s Get United !

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