Talco in Hamburg 2025

Am heutigen Samstag den 15ten Februar 2025 feiern die italienischen Ska-Punks von Talco ihr 20 jähriges Jubiläum in der Markthalle und ich bin mittendrin.

Der Nachmittag beginnt für meinen Freunde und mich „früh“. Zur Einstimmung auf den Konzertabend geht es ins Knust zum Fussi gucken. Dort werden, sowohl draußen vor dem Eingang, als auch drinnen alle St. Pauli Spiele umsonst gezeigt. Macht Sinn, da das Knust quasi nur einen Steinwurf vom Millerntor-Stadion entfernt ist. Wir schauen draußen, St. Pauli verliert und beim Aufstehen merke ich, dass mein Po sinnbildlich an der Bank festgefroren ist. Hatte man aufgrund des vorangegangenen Konsums kühler Sportgetränke und guter Gespräche während des Spiels gar nicht so gemerkt.

Ein Besuch lohnt sich immer, die Stimmung ist stets gut, die Leute sind sehr nett und bunt gemischt. Vom langjährigen Fan aus den „Gründungszeiten“ des Vereins, bis zu gerade eben volljährigen Menschen ist alles dabei. Heute macht der Besuch doppelt Sinn, da Talco ja selbst einen Song für diesen Verein bzw. den Stadtteil geschrieben haben.

Nach einer kulinarischen Stärkung geht es zur Markthalle, vor der sich zum Einlass schon ein buntes Treiben abspielt. Es scheint eine durchaus eingeschworene Fangemeinde zu sein. Viele der heute anwesenden Fans, kennen sich augenscheinlich zudem aus dem Millerntor-Stadion. Um mich herum sehe ich auf jeden Fall viele stürmische Umarmungen zur Begrüßung. Das Konzert ist wie schon das gestrige (Talco spielen zwei Tage hintereinander in der Markthalle) restlos ausverkauft. Man merkt allerdings, dass die Leute keine Eile haben reinzugehen. Auch wir trinken entspannt noch unser Bier und den soeben erstandenen 0,1 ml Pfeffi Flachmann vom örtlichen Rewe aus. Natürlich in der original Nordbrand Marke.

Dann ein kleines Drama: Ein Freund aus unserer Gruppe findet sein Hard-Ticket nicht, es scheint zuhause geblieben zu sein. Doppelt bitter, da er mich schon gegen Mittag zuhause abgeholt hat. Sprich, es wäre bei frühzeitiger Erkenntnis noch mehr als genug Zeit gewesen das Ticket zu holen. So kann es gehen, wenn man eine gute Zeit hat. Da vergisst man halt auch mal alles andere um sich herum.

Nach längerer Diskussion mit dem Chef vom Klub kann mein Freund am Ende mit seiner Kaufbestätigung aus seinem E-Mail Account rein. An dieser Stelle noch einmal ein stellvertretendes Danke an die Markthalle. Auf jeden Fall sind wir nun komplett und treffen direkt ein paar Leute, die man nur flüchtig kennt. Allerdings trifft man sich auf den meisten „linksversifften Konzerten“ in der Gegend, wenn es irgendwie machbar ist und heute wechselt man mit manchen auch zum ersten Mal ein paar Worte.

Dieser freundliche Empfang bringt allerdings auch ein weiteres Problem mit sich. Ich merke viel zu spät, dass schon vor dem offiziellen Beginn um 20 Uhr eine Band im Saal spielt, zu der kann ich daher leider nichts sagen. 😉

Tequila and the Sunrise Gang

Um kurz nach 20 Uhr entert eine Band die Bühne, die in den letzten ein, zwei Jahren eine festen Platz in meinem Herzen gewonnen hat. Leider hab ich es bisher immer verpeilt, ihnen mal einen Artikel zu widmen, aber heute ist meine Chance.
Die Kieler legen, wie man es von ihnen gewohnt ist, los wie die Feuerwehr. Viele Leute im Publikum kennen sie und können die Texte mitsingen. Für alle, die sie noch nicht gesehen haben, die Sunrise Gang spielt einen wilden Mix aus Ska-Punk, Rock und Reggae. Ausgestattet mit Gitarrist Malte Buchholz, Schlagzeuger Marvin Thode, Bassist Lukas Hartung, Felix Konradt an der Posaune und Johannes Poser an der Trompete, komplettiert das ganze Sänger René, mit viel Energie und Bewegung, gepaart mit einer sehr sanften Stimme, die aber auch mal ordentlich schreien kann.

Als ersten Song spielen sie mit Under Pressure direkt meinen Lieblingssong vom aktuelle Album Home. Also schnell das Bier austrinken und rein ins Getümmel. Ein sanfter Moshpit der „Bandkenner“ formiert sich dann auch unten in der Mitte. Neben ihren eigenen Songs spielen sie im weiteren Verlauf, wie in letzter Zeit häufig, auch ein Cover vom schon fast legendären Danger Dan-Song Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt. Im Original wird das Stück ja nur durch das Piano begleitet. Besonders durch die Trompeten bekommt diese Version hier nochmal einen ganz neuen Touch und macht den Song tanzbar.

Bei dieser Songauswahl kann man sich, auch als Nichtkenner der Band, sicherlich schon denken wo diese politisch steht. Nicht umsonst ist sie meines Wissens nach die einzige Band, die jedes Jahr beim Festival „Jamel Rockt den Förster“ (link) spielt, dem Festival der Lohmeyers gegen Rechts, in einem Dorf voller Nazis.

Nach gut 45 Minuten beenden die Jungs ihr Set. Hose und Shirt sind schon jetzt ziemlich nass bei mir, immer ein Zeichen für die gute Qualität der Musik.

Talco

Gegen 21:15 Uhr kommen die Italiener auf die Bühne und starten mit Il Tempo. Damit geben sie direkt die Richtung des Abends vor, nämlich Eskalation!

Ich hab die Band zum ersten Mal auf dem letztjährigen Ruhrpott Rodeo gesehen, da waren sie der letzte „Headliner“ am Sonntagabend. Die meisten meiner Freunde waren zu dem Zeitpunkt schon im im Bett und mein Geisteszustand war auch nicht mehr der allerbeste. Zudem war ich skeptisch. Eine Band, mit Texten, die ich aufgrund der Sprachbarriere überhaupt nicht verstehe? Die Texte sind mir eigentlich sehr wichtig und für Pogo war ich außerdem schon zu Müde. Also dachte ich mir dann: „Mensch, holst du dir noch ein Bier und schaust dir die Jungs mal aus sicherer Entfernung an“.

Tja und dann war ich sofort völlig begeistert. Talco schaffen es, sowohl an dem beschriebenen Rodeo-Abend als auch heute, mich musikalisch komplett umzuhauen. Der Trompeter macht einen unglaublich guten Job. Gefühlt kenne ich keine Band, bei welcher der Sound dieses Instruments druckvoller und präsenter wäre. Allgemein wirkt der ganze Sound sehr musikalisch und tanzbar. Ihre Herkunft merkt man den Jungs ebenfalls an, denn teilweise sind klar erkennbare Einflüsse von italienischer Volksmusik zu erkennen. Auch Balkansounds sind – gefühlt zumindest – enthalten. Zudem ist die Musik super schnell, perfekt zum Pogo. Auch der Moshpit ist heute hart, aber absolut nicht bösartig. Es ist für mich schon immer eine Art Gradmesser, was für ein Publikum eine Band anzieht. Das heutige beherrscht den „Schubsetanz“ sehr gut, hilft Menschen am Boden, lächelt sich gegenseitig an und klopft sich auch öfter mal auf die Schulter. Dafür eine Runde Applaus meiner Seite. Trotzdem sollte mein Rücken am Ende ziemlich die Schnauze voll haben.

Schon im ersten Viertel kommt dann auch der zuvor beschriebene St. Pauli Song und die Leute flippen komplett aus. Ich hab mir die Lyrics, übersetzt in englischer Sprache, mal etwas genauer angeschaut und sie könnten nicht besser zu diesem Verein passen. Es geht um die „Piraten von St. Pauli“ und ihren Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit. Allgemein hat sich bei meiner Recherche bestätigt, dass es in den Songs thematisch größtenteils um das Arbeiterleben und den Kampf gegen Obrigkeiten geht.

Anschließend geht es direkt mit dem natürlich weltbekannten Bella Ciao weiter. Ein Song, der besonders jüngeren Menschen möglicherweis nur noch durch irgendwelche unsäglichen Techno Remixe bekannt ist, die in meinen Augen auf die original Message für Geld bewusst spucken. Zu Talco hingegen passt diese Hymne der italienischen Partisanen, gesungen gegen die faschistische Mussolini Regierung im zweiten Weltkrieg, perfekt. Man nimmt ihnen jedes Wort ab und sie untermalen das ganze mit ihrem mächtigen Sound. Ein Sound der den ganzen Abend förmlich „Revolution“ zu schreien scheint. Nicht zuletzt, auch auf Grund der aktuellen Lage in Italien, mit der rechten Regierung von Meloni. Allerdings auch für uns in Deutschland, in Bezug auf die Gefahr, demnächst eine ähnliche Regierung zu haben. Man will die Faust gar nicht mehr senken!

Gegen Mitte des Sets spielen Talco dann mit Danza dell’Autunno Rosa ihren wahrscheinlich größten Hit. Absolut zurecht in meinen Augen! Im Musik-Video (link) dazu sieht man eine junge Frau, die scheinbar bei einer Wahlveranstaltung einer rechten Partei ist und sich zunächst von den Worten des Redners bezirzen lässt. Sie steigt sogar zu ihm auf die Bühne. Dann kommen aber ihre alten Freunde „mit Pauken und Trompeten“ und zeigen ihr ein altes gemeinsames Foto von früher. Außerdem halten sie ihr einen Spiegel vor das Gesicht. In dem Moment erkennt sie die menschliche Hässlichkeit, in die sie da geraten ist. Am Ende zieht sie mit ihren Freunden tanzend von dannen. Das mag alles erstmal relativ simpel und einfach klingen, aber unterlegt mit dieser fantastischen Musik verfehlt es seine Wirkung keinesfalls. Ich hab auf jeden Fall das Gesicht der Frau in diesem Moment sofort im Kopf und mir kommen auch zum ersten mal die Tränen. Ein wirklich wunderschöner Song, der für absolute Gänsehaut sorgt.

Zu den restlichen Songs vom heutigen Abend kann ich leider nicht so viel sagen. Allerdings habe ich schon nach 3/4 des Sets das Bedürfnis, mir sofort alle Alben zu besorgen und mir die Texte übersetzt durchzulesen.

Am Ende steht eine ca. 2 Stunden lange Party, bei der wir uns alle gefühlt die Seele aus dem Leib tanzen. Ich lernen spätestens heute, dass man bei Musik nicht jedes Wort verstehen muss, um sie zu lieben. Man spürt bei dieser Band einfach in jeder Sekunde wofür sie stehen und das große Herz mit dem sie ihre Message verbreiten. Das war wirklich großes Kino heute. Es bräuchte in meinen Augen dieser Tage viel mehr so klaren und doch gut gelaunten Widerstand!

Die „After Hour“ läuft wie so oft. Ich bin klitschnass und brauche ein neues Shirt. Das Shirt was ich eigentlich will gibt es natürlich (mal wieder) nicht mehr in meiner Größe. Ich nehme ein anderes, was noch nicht von den XL Trägern ausverkauft wurde.

Wir bleiben noch etwas in der Location, da die Garderobenschlange in der Markthalle über einen Balkon nach unten führt, der (wie der Namen vermuten lässt) draußen ist. Draußen sind inzwischen Minusgrade. Also erstmal Wasser, Bier und das Konzert mit den Freunden Revue passieren lassen. Alle sind begeistert. Nur mein Freund mit den fehlenden Ticket fand Tequila and the Sunrise Gang besser als die Hauptband.

Nach ungefähr einer Stunde werden wir dann mehr oder weniger höflich gebeten zu gehen. Tja und siehe da, keine Schlange mehr an der Garderobe. Anschließend wäre es eigentlich schlau, einfach nach Hause zu fahren. Das machen der „Mann ohne Ticket“ und ich natürlich nicht. Wir fahren noch zu unseren beiden Lieblings Punkerkneipen auf dem Kiez, Semtex und Gun Club. Im Semtex ist es ziemlich voll und es läuft „Total eclipse of the Heart“ von Bonny Tyler, mein Freund flüchtet sofort. Im Gun Club gibts dann noch 2 Runden an der Bar.

Anschließend schleppen wir uns zum Bahnhof und mir fällt auf, dass ich irgendwie auf dem Weg meine klitschnasses Dritte Wahl Shirt verloren habe. Und dass heute Nacht die Bahn streckenweise als Ersatzverkehr fährt, hatten wir auch nicht mehr so wirklich auf dem Zettel.

Egal, irgendwann schaffen wir es nach Hause und ich falle mit einem strahlenden Lächeln ins Bett.

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