Rebellion Festival 2024 – Teil 4

27. August 2024

Abwechslungsreiche Bands, blaue Flecken, Tränen der Rührung und Abschied

Sonntag. Der letzte Festivaltag war eine emotionale Achterbahnfahrt allererster Güte. Ein Tag, den ich so schnell nicht vergessen werde.

Heute begleitet uns ein leichter Nieselregen zum Strand. Allerdings müssen Traditionen gewahrt werden und das Frühstück wird lediglich etwas schneller als gewohnt verspeist. Anschließend geht es noch ein letztes Mal zum Café am North Pier. Dort ist heute ziemlich tote Hose. Allgemein sieht man schon viele Punks heute Vormittag abreisen.

Das Festival hat seine Spuren auch bei mir hinterlassen. Die Schmerzen am ganzen Körper sind gefühlt auch mit Alkohol nicht mehr wirklich zu betäuben. Die Füße haben die Schnauze voll und die blauen Flecken werden auch nicht weniger.

Da trifft es sich gut, dass unsere Unterkunft einen kostenlosen Brunch für alle Gäste veranstaltet. Als wir gegen 12 die Kneipe betreten, ist das Buffet gedeckt mit kulinarischen Köstlichkeiten. Wir lassen es uns schmecken und ich spüle das Mahl mit einen frisch gezapften Staropramen runter. Danach sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Wir sammeln unsere Kräftereserven und marschieren ein letztes Mal zum „heiligen Garten“.

Cran in der Arena

Zum Auftakt geht es in eine (für uns) neue Location. Es geht die Treppen runter und wir finden uns in einem kleinen aber feinen Club wieder. Dieser ist zwar deutlich übersichtlicher als Ballroom, Opera oder Club Casbah, das sorgt allerdings für eine sehr intime Atmosphäre.

Cran sind eine Punk Band aus Frankreich. Der Sound ist heavy, aber sehr melodisch und die Gesangssprache ist französisch. Die Band beherrscht ihre Instrumente sehr gut und die Sängerin hat eine Stimme und Ausstrahlung, die den Club erbeben lassen.

Thematisch habe ich mir ein paar Texte später nochmal übersetzt. Sehr politische, teilweise schon anarchistische Texte.

Rites of Hadda im Opera House

Weiter geht es in der „Oper“ mit einem absolut unvergesslichen Auftritt. Die Band beschreibt sich mit „Psychedelic Witchpunk from London“. Der Sänger wechselt im Laufe der Show mehrmals seine farben-prächtigen Kostüme und Kleider und mit Schminke spart er auch nicht. Gleichzeitig rotzt er sehr wütende und anklagende Texte ins Mikro.

Es geht um die Rechte von Minderheiten und auch um Angriffe auf sich selbst. Er erzählt uns halb ironisch, am gestrigen Tag zwei seiner gemachten Nägel verloren zu haben – beim Aufmarsch der Rechten in Blackpool. Man kann die Show schwer beschreiben. Überzeugt euch selbst auf Youtube. Am Ende bin ich schwer berührt und habe Tränen in den Augen. Besser kann man auf das Thema nicht aufmerksam machen.

FMA + 12 Gage in der Arena

Zurück in der Arena höre ich (von früher) ziemlich vertraute Klänge. Zwei Rapper haben sich auf dem Festival eingeschlichen. Für mich als früherer Hip Hop Head sehr interessant.

Der Sound geht in Richtung Elektro, der Rap ist sehr aggressiv und anklagend. Mal geht es um fiktive Horror Geschichten, oft geht es um Armut und gegen den Staat. Keine Homophobie oder Frauenfeindlichkeit in Sicht, nur pure Wut. In den Refrains schreien die beiden teilweise so, wie es ansonsten wohl nur Death Metal Bands tun. Ein spannender Mix. Meine aufkommende Müdigkeit ist nach der halben Stunde sofort wieder verschwunden.

Am Ende noch ein bewegendes Statement der beiden: „So far nobody really respected us in the Rap or Electro Community“. But we knew the Punks would welcome us with open arms, Thank you“.

Faintest Idea im Club Casbah

Der uns noch von Booze &Glory bekannte Club Casbah lädt nun zu einer feinen Ska-Punk Party ein. Die Briten bewegen sich soundtechnisch in der Tradition von Bands wie Rancid oder den Interrupters. In Sachen Textmaterial sind sie hochpolitisch und links.

Wiederholt wird auf die Demonstrationen vom Vortag eingegangen und zu „Alerta Antifascista“ Chören aufgerufen. Nichtsdestotrotz macht die Musik sehr gute Laune und der ganze Laden tanzt.

Chip Hanna im Almoust Acoustic

Nun geht es zurück nach oben in den zweiten Stock. Erneut erstrahlt die „Acoustic Stage“ im Licht der Sonne, die durch die Kuppel fällt.

Chip Hanna ist ein Singer Songwriter, der sehr Country lastige Songs spielt. Stimme und Gitarrenspiel sind gelungen und berühren. Weitere Details sind leider aus meiner Erinnerung bereits gelöscht. Das mag an der Frau liegen, über die ich im Folgenden berichten möchte.

Efa Supertramp im Almoust Acoustic

Bei meiner Recherche zum Rebellion Festival bin ich schon früh auf diesen Namen gestoßen. Eine junge Singer Songwriterin aus Wales mit politischen Texten. Größtenteils in englischer Sprache, teilweise auf walisisch. Ich war neugierig und hörte mir ihr Album Rhydddid yw y Freuddwyd an und war völlig begeistert. Ein Album in dem so viel drin steckt.

Es geht um das Leben in Armut, aber auch um Antifaschismus, eine klare Haltung und um Widerstand gegen das System. Klingt das erste Album noch leicht resigniert, ist das zweite Album Apocalipstick Blues ein klarer Aufruf dazu, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren.

Nun zum Auftritt. Der Laden ist leider nicht wirklich voll und viele der Zuschauer sitzen im hinteren Bereich auf den vorhandenen Stühlen (Tag 4 lässt grüßen). Ich stehe ganz vorne in der ersten Reihe. Im Laufe des Konzerts stellen sich zum Glück noch ein paar Leute dazu. Die Songs, die ich zuvor wochenlang auf meinen Spaziergängen an der Hamburger Alster gehört habe werden nun live in Blackpool zum Leben erweckt. Efa spielt als wenn es kein Morgen geben würde. Ihre Stimme packt einen sofort. Ich habe sehr schnell einen Kloß im Hals und Gänsehaut am ganzen Körper.

Wir benötigen nun erstmal eine Pause um das Erlebte zu verarbeiten. Danach kehren wir in den Ballroom zurück. Eigentlich um später Cockney Rejects und Stiff Little Fingers zu sehen. Es sollte anders kommen….

The Sweet im Empress Ballroom

Als wir zurück in den Flur vom „Garden“ kommen, hat sich bereits eine massive Schlange für den Ballroom gebildet. Das hätte uns schon stutzig machen sollen. Wir kommen grade noch rein. Allerdings ist gefühlt kaum noch Platz zum stehen, geschweige denn Luft zum Atmen. The Sweet sind eine Glam Rock Band aus den 80er Jahren von der ich zuvor noch nichts gehört hatte. Meine Mutter schon. Sollte sich als kein Verlust herausstellen.

Die Band hat laut meiner Mutter einen neuen Sänger. Den finden wir richtig schlecht. Dazu völlig überhebliches Rock n Roll Getue, was (in meinen Augen) beim Rebellion Festival nichts zu suchen hat. Eine ganze Stunde sollen sie spielen. Nach einer halben Stunde gucken wir uns an. Einstimmige Meinung. Die Band mögen wir nicht, es ist viel zu eng und uns tun die Füße weh.

Wir verlassen den Saal zum ersten Mal vorzeitig. Auch wenn uns das alle Chancen nimmt, die anschließend spielenden Cockney Rejects und Stiff Little Fingers zu sehen.

Crim in der Arena

Auf der Suche nach einer Alternative gehen wir in den zuvor beschriebenen kleinen Club zurück. Dort spielt Crim aus Tarragona (Spanien). Ohne jegliche Vorkenntnisse lassen wir uns auf die Band ein und sind schon nach dem erstem Song völlig begeistert. Rebellischer Street Punk in spanischer Sprache. Selbst wenn man an diesem Abend die Worte nicht versteht, die Intention dahinter wird sofort klar.

Bei meiner Textrecherche hinterher bestätigt sich dies. Es geht gegen Rassismus, den Staat und gegen die Kirche. Soundtechnisch beweisen die Jungs echte Bad Religion Qualitäten. Sehr schnell und doch melodisch kommt ihr Punk daher. Das Publikum geht auch voll mit. Ein echter Geheimtipp.

Old TIME Sailors im Opera House

Zum Abschluss geht es noch einmal in die Oper. Wieder auf Verdacht. Der Name klang irgendwie vielversprechend. Die Vermutung sollte sich erneut bestätigen. Quasi eine ganze Seemanscrew (Männer und Frauen) spielen einen wilden Mix aus verschiedenen Genres. Mal klingt das nach alten irischen Folk, mal wird „Du hast“ von Rammstein gecovert.

Am Ende nehmen sie sich den 90er Eurodance Knaller „Insomnia“ vor. Der Laden explodiert noch einmal. Punks, Skins, Männer, Frauen und non binäre tanzen alle friedlich zusammen. Was für ein Erlebnis. Kann man erneut nicht wirklich anerkennend genug beschreiben. Schaut auch die Videos auf Youtube an. Das wäre meine dringende Empfehlung.

„The Old Vic“

Anschließend wollen wir eigentlich nochmal zur inzwischen für uns schon legendären Balkon Hotel Bar. Allerdings hat diese heute bereits geschlossen. Wir probieren, uns irgendwo noch Bier + Wein fürs Zimmer zu besorgen – aber keine Chance! 🙁 Also beschließen wir, noch einmal zurück in den Winter Garden zu gehen. Dort gibt es ein Pub in dem wir bisher noch nicht waren. Wir kommen um 23 Uhr als letzte Gäste grade noch rein.

Im „Old Vic“ herrscht bereits ziemliche Katerstimmung. Man sieht den Leuten die 4 Tage Party deutlich an. Auch der Laden macht bereits um 24 Uhr zu. Wir kippen noch jeder 2 Pints runter, auf das Leben und die Freiheit. Dann geht es müde ins Bett.

Am Abreisetag sind wir mal wieder schwer beeindruckt, wie diszipliniert die Briten Schlangen bilden und halten können. Dies wohlgemerkt, ohne sich alle 5 Minuten über irgendwas zu beschweren. Das erleichtert den Start unserer Zugfahrt ungemein, insbesondere nerventechnisch. Eine gewissen Traurigkeit umspielt meine Gedanken, aber auch eine große Dankbarkeit. Schön war es !

Wir fahren noch für eine Nacht nach Liverpool. Meine Herzensstadt in England. Es gibt am Abend ein „Open Mic“ im Cavern Pub, meinen Lieblingsladen in dieser Kulturstadt. Über 30 verschiedene Musikerinnen und Musiker aus aller Welt geben 2-3 Songs zum besten. Ein toller musikalischer Abschluss unserer Reise.


Epilog

Seit meiner Rückkehr nach Hamburg geht mir das Festival nicht mehr aus dem Kopf. Nicht die freundliche und herzliche Art der Menschen, nicht die fantastische Location, die vielen guten Bands und das Gefühl der Freiheit. Die Erkenntnis für mich, der erst vor ein paar Jahren zum Punk gefunden hat ist, dass diese Kultur in England lebendiger denn je ist. Die Werte sind für meine Begriffe zudem noch immer so relevant wie zu den Anfangszeiten. Egal ob es gegen Rassismus geht, den Kampf um eine gerechtere Gesellschaft, Solidarität gegenüber „Randgruppen“ oder um das Ausleben eines alternativen Lebensansatzes.

Ein bisschen Sorgen macht mir der Altersdurchschnitt. Dieser war im Publikum nochmal erkennbar höher als beispielsweise beim Ruhrpott Rodeo. Genug junge Bands kommen nach. Ich hoffe, dass auch das (Stamm) Publikum nicht irgendwann in den nächsten 10-20 Jahren aussterben wird.

Im nächsten Jahr sind wir auf jeden Fall wieder dabei ! 🙂 In diesem Sinne, „Good night you Dirty Old Blackpool Town“.

Bildrechte auf dieser Seite: Finn Hedges; Videos: aus Youtube geklaut