Der Freitag beginnt mit Frühstück am Meer und der merkwürdigsten Begegnung des Wochenendes…
Ein etwas älterer Schotte fängt an, uns locker eine halbe Stunde zuzutexten. Man kommt kaum zu Wort. Beatles, The Who und Led Zeppelin? Kennt er natürlich alle persönlich. Komisch nur, dass er auf uns so wirkt, als hätte er seit Jahren mit niemanden gesprochen. Erst tut er uns Leid, gegen Ende nervt er uns einfach nur noch.
Parallel dazu belauern die Möwen unsere Tesco Sandwiches und warten auf ihre Chance. Wir werden schließlich vom Schotten mit dem Tipp entlassen, nicht mit den „politischen Punks“ zu diskutieren. Mit denen könne man nicht sachlich reden. Wie war das noch mit der Glashaus-Theorie?
Insofern merkt euch folgendes. Die zwei Hauptgefahren in Strandnähe Blackpool sind:
1: Rotzfreche, riesige Möwen (die einzige Mafia in Blackpool)
2: Ältere, alleinstehende Schotten mit Gehhilfe
Thank me later 😉 -> Achtung, Tipps könnten Spuren von Ironie enthalten 😉
Gegen Mittag flüchten wir uns nochmal kurz auf die Terrasse vom Balkan Hotel. Dort lernen wir beim ersten Bier des Tages einen sehr netten Punk aus dem Schwabenland kennen. Elvis will er genannt werden. Wir beginnen sofort eine „politische Diskussion“, bei der wir uns absolut einig sind. Er erzählt uns von Punk Konzerten aus den 80ern und von Schlägereien mit den Nazis dort. Ich trinke mein Bier aus und wir machen uns auf zum „Winter Garden“. Um 12:45 Uhr geht es schließlich weiter mit Konzerten. 🙂
Der Tag beginnt mit einer jungen 5köpfigen Frauen Punkband aus Brighton. Es wird viel geschrien und gekonnt provoziert. O-Ton von einer der Sängerinnen zur Mitte des Sets: „I hope you´re not just here to stare at my open underboob!“ (Das Outfit war etwas „freizügig“). Das Wort muss ich mir merken. Eine sehr feministische, empowernde Band mit Songtiteln wie „Pretty Good for A Girl“. Hat mir sehr gut gefallen.
Zu empfehlen ist das Musikvideo zum Song „My Body. My Choice“. Zu sehen auf Youtube. Dieses vermittelt einen guten Eindruck von der Band. Der einen Hälfte des Publikums schien der Auftritt sehr gut zu gefallen. Die andere (Stichwort Skinheads) wirkte wie in einer leichten Schockstarre gefangen. Sprich, mehr Wirkung und Aufmerksamkeit hätten sie wohl nicht erzielen können.
Weiter geht es mit dieser Band aus Glasgow. Gegründet bereits 1977; viel straighter Oi! Punk. Der erste Refrain gibt die klare Grundthematik vor: „Wer are gonna drink all weekend long“ . Die (für die Uhrzeit) ziemlich vielen Leute vor der Bühne scheinen die Band alle gut zu kennen.
Das Publikum geht super mit und kennt alle Texte. Am Ende geht der Sänger noch ins Publikum. Die fantastische Stimmung ist für mich ein frühes Highlight an diesen Tag. Ich habe 30 Minuten Gänsehaut am ganzen Körper und eine Träne im Knopfloch. Es sollte nicht das letzte Mal an diesem Wochenende gewesen sein.
Eine junge Band aus Kent, die ich kürzlich begeistert für mich entdeckt habe. Vom Sound her ein bisschen Crossover (Stichwort Swiss und die Andern). Eigentlich Rap unterlegt mit Punk/Hardcore Musik. Es geht viel um Armut, Depressionen, Überlebenskampf und Wut auf den Staat.
Schon nach wenige Minuten formt sich der härteste Moshpit des von mir bis dato erlebten Festivals. Ich bin mittendrin und genieße jede Minute. Der Sänger hat eine unglaubliche Power, Präsenz und Stimmgewalt. Absolute Empfehlung.
Völlig verschwitzt geht es zur nächsten Band, vor der es sich nicht lohnt, die Klamotten zu tauschen. Maid of Ace gehören, seit ich sie vorletztes Jahr auf dem Ruhrpott Rodeo entdeckt habe, zu meinen absoluten Lieblings (live-) Bands aus England. Vier Schwestern aus Hastings. Schnell, hart und aggressiv.
Die Texte sind Oi! Punk typisch eher einfach gehalten, aber man glaubt den Damen jedes Wort. Musikalisch ist ihr Auftritt ein Faustschlag ins Gesicht. Hinterher ist es Zeit, mein Shirt auszuwringen und etwas essen zu gehen.
Nach der Pause geht es zu dieser Band. Sehr textlastig und viel Pöbelei. Allerdings ein so starker Akzent, dass ich die meiste Zeit nur „Fuck“ und „Cunt“ verstehe. Den Leuten gefällt es auf jeden Fall.
Ich muss mir das wohl in Ruhe nochmal zuhause anhören.
Eine der wenigen Bands, die ich schon lange vor dem Festival kannte und sehr liebe. Von den Briten kannten sie augenscheinlich nicht so viele. Im Moshpit waren größtenteils die tatsächlich ziemlich zahlreich angereisten deutschen Punks. Naja, was soll man zur Baboon Show live noch sagen. Natürlich reißen sie wieder alles ab und bei den britischen Punks + Skins ist das Staunen groß. So viel offene Münder hab ich lange nicht gesehen. Da haben sie sicherlich ein paar neue Fans gefunden.
Die Sängerin Cecilia schafft es regelmäßig, innerhalb von wenigen Minuten einen Club vollständig auseinander zu nehmen. Stimmlich kann sie alles singen und in Sachen Energie reicht ihr so schnell auch keiner das Wasser.
Zudem hat sie während der ganzen Show den Bewegungsradius einer Hochleistungssportlerin. Mehrfach macht sie Crowdsurfing im Publikum. Ansonsten springt sie auf und ab, als wenn es keinen Morgen geben würde. All diese Qualitäten sind auch in dieser Blackpool Show perfekt enthalten. Anschließend läuft die Band noch ganz entspannt durch die Lobby. Sehr sympathisch!
Endlich ein Locationwechsel. Der Club Casbah wurde augenscheinlich an den „Winter Garden“ angebaut. Wieder eine riesige Halle. Erster Eindruck: Fast genauso groß wie Opera und Ballroom. Unglaublich breit.
Erneut haben wir es mit einer Band zu tun, die sich bereits 1977 (ursprünglich) gegründet hat. Der Stil ist mal wieder solider Oi!. Leider sind nicht so viele Leute da. Eine gute Vorstellung, allerdings bleibt mir kein Song so richtig in Erinnerung.
Dort gibt es noch einen richtigen Kracher. Die polnischen Londoner geben alles und das Publikum rastet völlig aus. Dazu muss man sagen, dass der Anteil von Skins und Punks nahezu 50/50 bei diesen Festival ist. Am Anfang hat mich das ehrlich gesagt etwas eingeschüchtert. Die Tattoos sind teilweise schon echt wild und die Blicke „böse“. Diese Denke verändert sich bei mir spätestens nach diesem Gig. Der Moshpit ist zwar sehr hart geführt, aber das miteinander ist absolut super. Die Skins und ich passen aufeinander auf und alle sind sehr freundlich zueinander. Immer wieder gibt man sich High Five oder klopft sich auf die Schulter. Sprich, so wie man sich das wünscht.
Dass im übrigen Booze & Glory eine „Antifascist“ Oi!-Band ist, sollte man spätestens anhand ihrer Tattoos bemerken. Dazu empfehle ich das Musikvideo zu „London Skinhead Crew„- da kann man diese gut erkennen. Man merkt den Jungs an, wie viel es ihnen bedeutet, auf diesem wichtigen Festival zu spielen. Trotz der Londoner „Wahlheimat“ fühlt es sich für alle an wie ein Heimspiel.
Für diejenigen, die sie bisher nicht kennen: Es geht bei Booze & Glory im Kern um drei Themen: Das (harte) Leben, Alkohol und Fußball. Die Texte sind eingängig, aber werden mit sehr viel Herz und Leidenschaft intoniert. Booze & Glory sind zudem seit jeher riesige Fans von West Ham United. Ich fand sie vorher schon ziemlich gut und werde an diesen Abend endgültig zum Fan. Ein toller Abschluss für heute!
Klitschnass geht es zurück. Kurz das Shirt getauscht und ab an die „Hotel Bar“. Punks sind leider heute Nacht in unserer Bar nicht zu finden. Dafür lernen wir eine ziemlich wunderliche Mutter + Tochter Kombi kennen. Es geht um die „Star Trek“ und „Sprachenpassion“ der Tochter. Beide betonen, im noblen Teil von London zu wohnen; augenscheinlich sehr reiche Menschen. Trotzdem bittet ihre Mutter meine Mutter um Rat, wie es mit der Tochter denn nun weitergehen soll? Es entsteht eine rege Diskussion. Verrückte Welt manchmal. Nichtsdestotrotz – interessant, mal das Leben aus einer ganz anderen Perspektive zu hören. Da beide alles in allem ziemlich freundlich sind, betrachten wir das „Schauspiel“ in aller Ruhe. Wir sehen sogar davon ab, eine politische Diskussion zu starten! 😉 Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass finanzieller Reichtum scheinbar nicht zwingend glücklich macht und die Oberschicht am Ende des Tages auch nur Menschen sind.
Als die beiden weg sind, machen wir noch eine Musiksession mit Barkeeper Phil, der uns jeden Tag mehr ans Herz wächst. Erneut geht es zu später Stunde ins Bett. Äußerst beschwingt und glücklich.
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